Knall und Drama in der Leventina

von 11.Oktober 2025National League

Was seit einigen Tagen im Schweizer Eishockey, in der Leventina beim HC Ambri-Piotta passiert, ist beispiellos. Sowas hat sich in der Öffentlichkeit noch selten oder vielleicht auch noch gar nie zugetragen. Aufgrund der verschiedenen Medienberichte hatten wir vor, eine Glosse zu schreiben. Eine Glosse verwendet die Stilmittel der Ironie, des Sarkasmus oder auch des Zynismus. Doch der Chronist hat sich vor dem Schreiben die Medienkonferenz des HC Ambri Piotta vom Mittwoch angesehen und kommt zum Schluss, dass ob all dieser Emotionen der Protagonisten weder Ironie noch Sarkasmus angebracht sind. Es ist das – hoffentlich vielleicht vorläufige – Ende einer Freundschaft.

Sucht man in Google die Definition des antiken Dramas, findet man Folgendes: „In antiken Dramen können Freundschaften tragisch scheitern, da die Handlung oft zu einer Katastrophe führt, die durch den Tod oder das Exil der Hauptfiguren endet. Dies geschieht typischerweise in Tragödien, die einen Aufbau aus Exposition, Peripetie (Umschwung der Handlung) und Katastrophe aufweisen. Bekannte Dramatiker dieser Epoche sind Sophokles und Euripides.“ Die Dramatiker bzw. Protagonisten vom letzten Mittwoch in der Leventina sind Filippo Lombardi (Präsident). Poalo Duca (Sportchef) und Luca Cereda (Trainer).

Die Exposition des aktuellen Dramas beginnt vor achteinhalb Jahren, als Luca Cereda als Trainer und Paolo Duca als Sportchef übernahmen. Achteinhalb Jahre mit Höhen und Tiefen. Wie das übrigens bei jeder Eishockey Organisation der Fall ist. Wer zu verstehen versucht, warum das Drama in Ambri entstanden ist, muss um die spezielle Kultur und Umgebung dieses Dorfclubs wissen. In dieser kleinräumigen Umgebung kennt jeder jeden. Und alle versammeln sich um den lokalen Eishockeyverein. Man ist befreundet, man freut sich zusammen, aber man ist auch in schlechten Zeiten füreinander da. Man geht durch Dick und Dünn.

So war es auch zwischen Lombardi, Duca und Cereda, Die Letztgenannten sind beide 44 Jahre alt und beide haben beim HC Ambri Piotta gespielt. Sie verbindet also eine intensive Freundschaft seit Kindesbeinen. Lombardi seinerseits übernahm das Präsidium des Dorfclubs im Jahre 2009, als Duca und Cereda noch selber Eishockey spielten. Und zusammen hat man über all die Jahre für Ambri gekämpft. Hat Geld gesucht und gesammelt, um es den Spielern zu erlauben, ihrem grossen Hobby als Beruf nachzugeben. Das schweisst zusammen. Offenbar so fest, dass eine eigentliche Lappalie nun zum Bruch führte. Womit wir also bei der Peripetie, dem Umschwung der Handlung, wären.

Ambri ist extrem schlecht in die Saison gestartet. Nach 12 Spielen hatte man gerade mal 7 Punkte, nur 22 Tore geschossen und deren 41 erhalten. Die Mannschaft taumelte und der Trainerwechsel wurde immer nötiger. So wie bekanntlich auch in Bern und bei Servette. Wobei Bern und Servette diese Klippe professionell umschifften. Und da sind wir wohl beim zentralen Punkt, welche die Vorkommisse in der Leventina erklärt. Wird die Freundschaft zu intensiv, ist professionelle Distanz nicht mehr gegeben und wohl auch nicht mehr möglich.

Am Ende des Umschwungs haben Paolo Duca und Luca Cereda hingeschmissen. Und insbesondere der wohl etwas heissblütige Duca schiebt Lombardi die Schuld für den Bruch zu. Denn Lombardi hat sich am Montag – und da sind wir bei der eigentlichen Lappalie – in Zürich mit Christian Dubé getroffen, um mal zu sondieren. Lombardi tat also nur das, was jeder verantwortungsvolle Präsident in solch einer Situation tun muss. Er tat das, was auch die Führung des SCB bei der letztlich erfolgreichen Suche nach dem neuen Trainer Heinz Ehlers getan hat. Man klappert den Markt nach Lösungen ab und führt Gespräche. Dass das Sondieren des Präsidenten sehr schnell in der Kabine des HC Ambri-Piotta bekannt werden würde, dürfte Lombardi als grosser Kenner der kleinräumigen Schweiz bestimmt gewusst haben. Was er unterschätzt hat, ist Ducas und Ceredas Reaktion.

Beide fühlen sich offenbar völlig hintergangen und beschwören den grossen Verrat herauf. Schaut man sich die Vorgänge mal ganz nüchtern und möglichst objektiv an, darf man diese Reaktion als ziemlich überzogen bezeichnen. Nirgends sonst, ausser in Ambri, ist eine solche Reaktion von unterstelltem Personal denk- und auch tolerierbar. Man stelle sich mal vor, der Chief Operating Officer (COO) einer grossen Firma würde seinem Verwaltungsratspräsidenten öffentlich anlässlich einer Medienkonferenz Dinge vorwerfen, wie Duca dies an die Adresse von Lombardi getan hat. Völlig undenkbar, so etwas. Hier aber, in der Leventina, geht das, weil man in intensiver und langjähriger Freundschaft verbunden ist.

Bei Ambri dürfen Unterstellte dem VR-Präsidenten nicht nur öffentlich Verrat vorwerfen, nein, der Beschuldigte entschuldigt sich auch noch für sein an sich legitimes Verhalten. Denn Lombardi hat ganz offensichtlich eine Reaktion provoziert, die er niemals bewirken wollte. Weil man eben in intensiver und langjähriger Freundschaft verbunden ist.  Lombardi hat sein Handeln an der Medienkonferenz glaubwürdig als Fehler bezeichnet, der ihm sehr leid tue. Es sei indes nochmal wiederholt: jeder Präsident, der in einer solchen Situation im Markt nicht nach Alternativen sondiert, ist ein schlechter Präsident. In jedem anderen Verein hätte man den Präsidenten für solches Handeln gelobt.

Ambri hat also am Mittwoch den grossen Knall erlebt. Jetzt ist es so wie es ist. Das Rad kann nicht mehr zurück gedreht werden. Dass der Verein nun auch noch aktiv eine totale Informationssperre verhängt hat, ist zwar auch etwas unüblich. Aber besehen die Umstände dürfte das die einzige Möglichkeit sein, wieder etwas Ruhe in den Dorfclub zu bringen. Denn der Verwaltungsrat muss jetzt Lösungen finden. Immerhin muss an gleichzeitig einen Trainer und einen Sportchef suchen und finden. Und das möglichst schnell.

Dubé ist dafür bestimmt noch eine sehr denkbare Variante. Dubé hatte ja übrigens auch schon bei Gottéron beide Ämter gleichzeitig inne. Und Dubé könnte in der Leventina auch zur Identifikationsfigur werden, um die herum der Dorfclub wieder geeint werden kann. Egal, wer nun als Trainer und Sportchef in die Leventina kommt. Er muss – wie Dubé das wohl könnte – nicht nur ein ausgewiesener Fachexperte sein, sondern er muss auch die DNA eines Dorfclubs kennen und diese verinnerlichen können. Denn die Fans von Ambri oder präziser alle Menschen, denen der HC Ambri Piotta – übrigens in der ganzen Schweiz – so sehr am Herzen liegt, wollen nur eines: so schnell wie möglich nach Siegen ihre Monanara singen dürfen:

La su per le montagne,La su per le montagne,
fra boschi e valli d´or,
tra l´aspre rupi echeggia
un cantico d´amor.

Oder zu deutsch:
Dort oben in den Bergen
zwischen Wäldern und goldenen Tälern
Es hallt zwischen den schroffen Klippen wider
Ein Lied der Liebe

Man will also unter Freunden wieder Feste feiern können. Feste feiern, die so schön sein sollen, wie Weihachten, wie das Fest der Liebe es ist. Oder um es mit der kleinen Geschichte eines grossen Könizer (Köniz ist nahe Bern) Fan des HC Ambri Piotta zu verdeutlichen: „Es gibt im Jahr zwei Momente, wo es mir kalt den Rücken runter läuft: Wenn Ambri gewinnt und das ganze Stadion die Montanara singt und in Köniz am Mitternachtsgottesdienst in der Kirche, wenn alle zusammen extrem laut „Stille Nacht, heilige Nacht“ singen“.

Es gibt übrigens auch Dramen mit Happy End. In denen es – nochmals gemäss Google – „um eine glückliche Auflösung von Konflikten geht, sei es durch das Finden der großen Liebe, das Überwinden von Hindernissen oder die Rettung der Welt.“ Möge die kleine Welt rund um Ambri ein Happy End erfahren. Ein Happy End inkl. Cereda, Duca und Lombardi. Denn ohne diesen legendären Dorfclub wäre die National League um eine wesentliche Attraktion ärmer. Und das wäre schade.

NB: heute Abend hat Ambri 3:2 gewonnen, gegen Ajoie. Die Montanara ist bestimmt ein erstes Mal nach letztem Mittwoch gemeinsam gesungen worden.

 

 

 

Foto: justpictures.ch